Die Entstehung von Wildnis wird unter dem Motto „Natur Natur sein lassen“ in den Kernzonen der Nationalparke und ausgewählter Biosphärenreservate gefördert. Doch auch wir als Dachverband bemühen uns, dass die Zahl der Wildnisgebiete unter unserem Dach größer wird. Als Mitglied der Initiative „Wildnis in Deutschland“ brachten wir uns darüber hinaus auch in den fachlichen und politischen Dialog rund um das Thema Wildnis ein.
Königsbrücker Heide von der IUCN als erstes Wildnisgebiet in ganz Deutschland anerkannt
Seit 2016 gehört das NSG Königsbrücker Heide auch als Wildnisgebiet zu den Nationalen Naturlandschaften Deutschlands (NNL) und erfüllt die Qualitätsstandards an ein NNL-Wildnisgebiet. Am 23. August 2023 wurde das Gebiet bundesweit als erstes Schutzgebiet als Wildnisgebiet der Kategorie Ib ausgezeichnet. Mit der Zertifizierung würdigte die IUCN, dass rund 80 Prozent des gut 7.000 Hektar großen Schutzgebiets der natürlichen Entwicklung überlassen bleiben. Sachsens Umweltminister Wolfram Günther nahm die entsprechende Urkunde vom deutschen IUCN-Vertreter Dr. Eick von Ruschkowski in Königsbrück entgegen.
Die Kriterien für Wildnisgebiete nach IUCN-Kategorie Ib sind:
- die Größe des Schutzgebietes, um Ökosysteme in ihrer Gesamtheit zu schützen,
- das Erfordernis, natürliche Prozesse ungestört ablaufen zu lassen und menschliche Eingriffe zu vermeiden,
- das Fehlen von Siedlungen oder Infrastrukturen (abgesehen von kleinen Maßnahmen der Besucherlenkung).
Wesentlich für die Auszeichnung der Königsbrücker Heide war zudem, dass eine gerade im mitteleuropäischen Maßstab große Fläche im Umfeld wenig Infrastruktur aufweist und somit über eine Pufferzone verfügt. Wichtig waren auch der Rückbau der Infrastrukturen und die Erstellung einer NSG-Verordnung, die natürlichen Prozessen freien Lauf lässt und menschliche Eingriffe minimiert. Aus Gründen des Naturschutzes und der flächenhaften Kampfmittelbelastung darf das Gebiet nur auf kampfmittelfrei markierten Wegen durch Wandernde und Radfahrende betreten bzw. befahren werden. Besuchende können auf dem rund 54 km langen Rad-Rundweg um das Wildnisgebiet herum und den markierten Themenwegen, die als zumeist kurze Rundwege in die Randbereiche des Wildnisgebietes führen, die Wildnis und ihre Entwicklung vor Ort erleben. Bestandteil des Angebots zum Naturerleben sind außerdem ein 34 m hoher Aussichtsturm am Südostrand und eine Aussichtsplattform am Westrand des Schutzgebietes. Die »Wildnisstation« dient der Durchführung kleinerer Veranstaltungen sowie als Stützpunkt für die Junior Ranger. Die Schutzgebietsverwaltung bietet außerdem geführte Wanderungen und Bus-Exkursionen ins Gebiet an. Auch diese Aspekte waren für die Anerkennung durch die IUCN wichtig.
Aktivitäten mit der Initiative „Wildnis in Deutschland“
Als Mitglied der Initiative „Wildnis in Deutschland“, der inzwischen 21 Umwelt- und Naturschutzverbände sowie Stiftungen angehören, brachten wir uns darüber hinaus auch in den fachlichen und politischen Dialog rund um das Thema Wildnis ein. In regelmäßigen Abständen treffen sich die Mitglieder online, um sich über das Thema Wildnis auf Bundes- und Länderebene auszutauschen, fachliche Grundlagen zu erarbeiten, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren etc. Darüber hinaus trafen wir uns am 5. April 2023 in Luckenwalde zu einem Präsentreffen. Wir tauschten und über unser künftiges Arbeitsformat, unsere Arbeitsschwerpunkte 2023 sowie über den Wortlaut unserer gemeinsamen Positionen zu Wildnis und Natura 2000 aus. Anschließend stellte uns Andreas Meißner auf einer knapp 9 km langen Wanderung die Wildnisfläche „Jüterbog“ der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg – Die Wildnisstiftung vor.
Seit 2014 gibt es das Veranstaltungsformat „Wildnis im Dialog“. Mit der Tagungsreihe soll die konkrete Implementierung von Wildnisgebieten in Deutschland vorangetrieben und die Verstetigung des Fachdialogs Wildnis gewährleistet werden. Angesichts weltweiter Krisen spielen insbesondere großflächige Wildnisgebiete eine immer wichtigere Rolle für den Klima- und Biodiversitätsschutz sowie den Schutz vor häufiger auftretenden Wetterextremen. Vom 12. bis 16. Juni 2023 kamen in Bad Langensalze Expert*innen aus Politik und Naturschutz zusammen, um sich dieses Mal vertiefend über das Thema „Wildnis und Klima“ auszutauschen. Diskutiert wurden u. a. die Themenblöcke Klima und Wildnis, Wildnispotenziale und Naturwälder sowie Monitoring und Management. Als Rahmenprogramm stellte uns am ersten Veranstaltungstag Rüdiger Biehl, zu der Zeit noch stellvertretender Leiter des Nationalparks Hainich, in einem Vortrag den Nationalpark und seine Geschichte vor. Am zweiten Tag fand eine ausgedehnte Wanderung durch den Nationalpark statt mit abendlichem Ausklang beim Nationalpark-Partner “Hainichbaude“. Für die Konzeption der Tagung zeichneten wieder das Bundesamt für Naturschutz (BfN), die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) verantwortlich.
Seit Ende 2020 erscheint der gemeinsame Newsletter der Initiative. Der Newsletter soll eine breitere Unterstützerbasis für das Thema Wildnis in Deutschland schaffen, für Wildnis begeistern, über aktuelle Entwicklungen informieren und somit auch zu mehr Besuchen auf der gemeinsamen Webseite https://wildnisindeutschland.de/ führen. Die Anmeldung erfolgt unter dem Link https://wildnisindeutschland.de/newsletter/.
Betriebsausflug in den Anklamer Stadtbruch
Seit Ende 2022 als jüngstes Mitglied bei den NNL dabei – die Moorlandschaft des Anklamer Stadtbruchs der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe. Natürlich war das Interesse groß, sich die in diesem Gebiet entwickelnde Wildnis mit eigenen Augen zu sehen. Schnell waren wir uns daher einig, wohin es beim ersten „richtigen“ Betriebsausflug der NNL-Geschäftsstelle nach der Corona-Pandemie gehen sollte. Am 10. Juli 2023 war es dann soweit. Stefan Schwill, bei der NABU-Stiftung verantwortlich für das Schutzgebietsmanagement in Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere für den Anklamer Stadtbruch, führte uns durch das Wildnisgebiet. Seit einer Sturmflut 1995, in deren Folge der Deich zum Haff brach, entwickelt sich die Moorlandschaft nach ihren eigenen Gesetzen. Viel Wissenswertes erfuhren wir über die Veränderungen, die hier in teils atemberaubender Geschwindigkeit ablaufen. Man kann der Wildnis hier buchstäblich beim Wachsen zusehen.
Wie geht es 2024 weiter?
Im nächsten Jahr wollen wir uns mit den drei NNL-Wildnisgebieten zusammensetzen, deren Wünsche und Bedarfe an NNL e. V. erfragen und umgekehrt unsere Möglichkeiten aufzeigen. Kurz gesagt: Wir wollen uns über eine gemeinsame Planung verständigen.
Wir werden als eine von 21 Partnerorganisationen der Initiative „Wildnis in Deutschland“ auch weiterhin die Entwicklung und Sicherung von großen Wildnisflächen in Deutschland unterstützen, Entscheidungsträger beraten und den öffentlichen Austausch rund um das Thema Wildnis fördern. Wir haben uns entschieden, auch weiterhin das Online-Format für unsere Treffen zu nutzen. Darüber hinaus soll es noch 1-2 Präsenztreffen geben, gekoppelt mit einer Exkursion. Für 2024 hat uns Manuel Schweiger zu sich in den Nationalpark Kellerwald-Edersee eingeladen. Alle freuen sich schon jetzt auf ein Wiedersehen und erwarten einen spannenden Einblick in die Wildnisentwicklung im Nationalpark. Auch die Tagungsreihe „Wildnis im Dialog“ wird weitergeführt, die nächste Tagung wird voraussichtlich im Herbst 2025, dieses Mal wieder an der Internationalen Naturschutzakademie des BfN auf der Insel Vilm, stattfinden. Im Fokus der Tagung: die aktuelle Wildnisbilanz, Erfahrungen aus den Wildnisprojekten, Zukunftspotenziale und Fördermöglichkeiten. Wir sind schon sehr gespannt.